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Stadtportrait - Die Schachbrettstadt an der Donau

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Von Leuten, die lange nicht in Tuttlingen waren, hört man oft einen ganz bestimmten Satz: „Die Stadt hat sich aber gemacht.“ Und in der Tat: Tuttlingen gehört zu den Städten, die während der letzten Jahren eine rasante Entwicklung erlebt haben. Und wer heute durch die Lindenallee der Fußgängerzone spaziert, am Rathausbrunnen eine Pause einlegt und gegen Abend auf der Terrasse der Stadthalle mit Blick auf die Donau den Beginn der Theateraufführung abwartet, wird eines nicht verstehen: Warum hatte die Stadt so lange den Ruf der „grauen Maus“?

Dabei hat Tuttlingen schon seit jeher gute Voraussetzungen gehabt: Das fängt bei der Lage an der Donau an. Bei Flusskilometer 2747 – also 2747 Kilometer bis zu ihrer Mündung ins Schwarze Meer – fließt sie durch Tuttlingen, direkt an der Innenstadt vorbei. Und das Wort "vorbei" wurde in früheren Jahren wörtlich genommen: Der Fluss galt als Bedrohung, die Stadt schottete sich von ihm ab und vergab die Chancen, die ein Gewässer städteplanerisch bietet. Inzwischen aber hat sich die Stadt zum Fluss hin gewandt – und dadurch nur gewonnen. Der neue Donaupark ist Erlebnisraum zwischen Stadt und Fluss, und auch die wichtigsten Großprojekte wurden unmittelbar in die Nähe der Donau gebaut: Mühlau-Sporthalle, Freizeitbad Tuwass, Scala-Kino und Stadthalle bilden heute eine architektonische Achse, die dem Lauf der Donau folgt.

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Die meisten dieser Projekte entstanden ab Mitte der 90er Jahre – in einer Zeit, in der andere Städte schon anfingen, Bäder und Hallen aus Kostengründen zu schließen. Dass dies in Tuttlingen anders ist, liegt an einer soliden Wirtschaftsstruktur. Als Weltzentrum der Medizintechnik beherbergt die Stadt weltweit operierende Firmen wie die zum B.Braun-Konzern zählende Aesculap AG, die Gebrüder Martin oder die Karl Storz KG. Dazu kommen zahlreiche kleine und mittlere Betriebe – alles in allem über 450 Firmen. Die Medizintechnik löste die zuvor in Tuttlingen dominierende Leder- und Schuhindustrie ab – und ersparte der Stadt so eine schmerzhafte Strukturkrise. Tuttlingen konnte eine industriell geprägte Stadt mit hohem Arbeiteranteil bleiben und musste sich nicht neu erfinden.

Schließlich ist die Stadt schon einmal neu erfunden worden – seinerzeit als Folge einer Katastrophe: Im November 1803 brannte die Stadt binnen weniger Stunden komplett ab. Auf dem Trümmerfeld entstand dann eine für ihre Zeiten revolutionäre Neuplanung: Der württembergische Landbaumeister Carl-Friedrich Uber griff auf die römische Idee der Rasterstadt zurück – man lebte schließlich in der Epoche des Klassizismus – und entwarf die „Stadt im Quadrat“. Wie die Donau musste aber auch der Reiz des Schachbrettmusters erst wieder neu entdeckt werden. Noch in den 70er-Jahren liebäugelten die Stadtväter mit einem Teilabriss der Quartiere, neue Viertel mit geschwungenen Straßenverläufen hätten sie ersetzen sollen. Zum Glück wurden diese Pläne nie realisiert – und inzwischen hat Tuttlingen das Quadrat zum Markenzeichen erklärt. Wie die Donau. Und wie die heilenden Instrumente.